China und der Westen
Gerhard Kuhn (MA)
1. Das Ausländische für China nutzbar machen
Das Motto, das die Volksrepublik China seit 1980 prägt, lautet „Yang wei zhong yong“, auf Deutsch: „Das Ausländische für China nutzbar machen“. Betrachtet man die letzten 25 Jahre, so ist es ein erfolgreiches Motto geworden und bis heute geblieben. China ist nicht zuletzt durch dieses Motto zur Fabrik der Welt geworden. Das Land ist dabei, sich die Stellung zu erobern, die es in der Geschichte schon einmal hatte: eine Weltmacht. Die chinesische Kultur besteht nun schon nahezu 5000 Jahre. Zwischen 500 und 1500 n. Chr. dominierten die Chinesen und waren dem damaligen Europa in fast allen Belangen überlegen. Heute scheint China durch seine Leistungsfähigkeit, seine ungeheure Menschenmasse und seine liberale Wirtschaftspolitik bei gleichzeitig unantastbarer politischer Führung Amerika und Europa zu bedrohen. Indizien dafür sind z.B. der Stellenabbau in den USA und Deutschland, der Textilstreit mit der Europäischen Union, der in diesem Sommer in den Schlagzeilen war, und die wegen der ständig wachsenden chinesischen Nachfrage stark ansteigenden Öl- und Stahlpreise.
Das „Ausländische“ bedeutet zum einen den westlichen Kapitalismus als Wirtschaftssystem, das von den Kommunisten nach und nach in den Sonderwirtschaftszonen übernommen wurde, und zum anderen die westliche Technologie, die China dadurch erhält, dass es westliche Unternehmen nur dann ins Land lässt, wenn diese bereit sind, ihre Technik in Joint Ventures den Chinesen zur Verfügung zu stellen.
Besonders seit den Tagen von Marco Polo (1254-1324), der während der mongolischen Yuan-Dynastie (1280-1367) zwanzig Jahre in China verbrachte, beschäftigt sich der Westen mit diesem riesigen Land, das bis ins 18. Jahrhundert hinein eine der fortgeschrittensten Nationen und die größte Volkswirtschaft der Welt war und in den letzten beiden Jahrzehnten wieder ein wirtschaftlicher Riese geworden ist.
Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. lief der Ost-West-Handel über die Seidenstraße, ein Netz von Karawanenstraßen, die von Luoyang in der zentralchinesischen Provinz Henan durch Innerasien und Nordpersien bis zum Hafen von Antiochia an der syrischen Mittelmeerküste führte (1). China lieferte Seide und erhielt dafür u. a. Silber, Glas und Gewürze. Bis Mitte des 14. Jh.s bildeten Seidenstraßen die wichtigsten Handelswege Chinas und waren bedeutend für den west-östlichen Kulturaustausch. Dann wurde die Seidenstraße von den bequemeren Seewegen abgelöst, auf denen Europa aufgrund des Rückzugs der Chinesen bald die führende Rolle übernahm und so die Welt erobern und dominieren konnte. Zuvor war auch hier China führend gewesen.
Zheng He (1371-1433), ein Eunuch und Großadmiral zur Zeit der Ming-Dynastie (1368-1644), ist bis heute Chinas berühmtester Seefahrer und wird als Kolumbus bzw. Magellan Chinas verehrt. Als Befehlshaber der kaiserlichen Flotte fuhr er u. a. bis zum Persischen Golf und bis Mogadischu an der Ostküste Afrikas.
Sein Leitschiff war 135 m lang. Seine „Schatzflotte“ umfasste 317 Boote mit 28 000 Mann Besatzung. Damit war dieser Verband von Schiffen fast 100 Jahre vor Kolumbus größer und mächtiger war als alle Flotten Europas zusammen.
Zheng He lag die Welt zu Füßen, doch die Regierung gab kein Zeichen, sie zu erobern oder mit militärischen Stützpunkten abzusichern. Der Kaiser begnügte sich vielmehr mit Ehrerbietungen und Tributen, mit Gold und Gewürzen. Er wollte Handel treiben „mit den Rändern der Welt“ (China sieht sich ja seit jeher als Zentrum der Welt, darum auch Zhongguo = Reich der Mitte) und überall China wohl gesinnte Herrscher an der Macht wissen, war aber an Weltherrschaft nicht interessiert.
Nach Zheng Hes Tod entschieden sich die kaiserlichen Nachfolger sogar, u. a. wegen der hohen Kosten der See-Expeditionen, für die Selbstisolation und die Dominanz der Landwirtschaft über den Handel und zerstörten die gesamte Hochseeflotte. Dies bedeutete das Ende der Seemacht China und führte schließlich zu dessen Niedergang und ermöglichte die Herrschaft der europäischen Seenationen England, Spanien und Portugal über die Meere.
Heute feiert die Kommunistische Partei Chinas Zheng He als weltoffenen Handelspartner und Friedensfürst, der symbolisieren soll, dass China nur friedliche Absichten habe. Denn China weiß, dass es von der Welt argwöhnisch beäugt und seine Wirtschaftsmacht gefürchtet wird.
nächster Abschnitt »» Sich vorerst bedeckt halten und im Stillen die eigene Stärke entwickeln