Kommentar: Ausschreitungen in Tibet
Tibet – Ein besetztes Land
Wer nach Tibet reist und mit offenen Augen durch das Land läuft, sieht dass Tibet ein besetztes Land ist.
Mein eigener Aufenthalt in Tibet fiel zudem mit dem Geburtstag des Dalai Lama zusammen. Man wurde ständig überwacht, nachts kamen Polizisten in das Hotelzimmer um die Ausweise zu kontrollieren und während der ersten Tage in Lhasa war es praktisch nicht möglich, sich getrennt von der Gruppe etwas außerhalb der üblichen Touristenorte zu bewegen.
Während der Busfahrt von Lhasa nach Golmud kamen wir oft an großen Militärlagern vorbei. Die Präsenz von Sicherheitskräften war überall zu spüren.
Zweigeteiltes Tibet – Tibeter und Han-Chinesen
Lhasa ist im Prinzip zweigeteilt. Es gibt ein modernes chinesisches Viertel und ein traditionelles tibetisches Viertel. Die Zuwanderung von Chinesen nach Tibet wird von der chinesischen Regierung wirtschaftlich gefördert.
Es ist kein Zufall dass sich die Proteste auch gegen chinesische Geschäfte und Händler richten. Die meisten Geschäfte in Lhasa sind in chinesischem Besitz, auch Straßenhändler in Lhasa sind zum Großteil Chinesen. Die meisten Tibeter sind vom wirtschaftlichen Aufschwung Tibets ausgeschlossen.
Die Aufstände in den vergangenen Tagen sind ein Ausdruck der Unzufriedenheit der Tibeter mit der Besatzung und der Tibetpolitik der chinesischen Regierung und es überrascht nicht, dass sich die anfänglichen Proteste von buddhistischen Mönchen zu großflächigen gewalttätigen Protesten entwickelt haben.
Die Tibeter haben quasi keinerlei Mitbestimmungsrecht darüber was mit Tibet, seinen Bodenschätzen und der Umwelt Tibets geschieht.
Auch in religiösen und kulturellen Dingen wird Tibet von der Zentralregierung in Peking bevormundet. Peking lässt z.B. keinen Zweifel daran, dass es (selbstverständlich nach Einhaltung aller tibetischen Bräuche und Auswahlverfahren) selbst bestimmen will, wer der nächste Dalai Lama wird.
Proteste des Auslands?
Natürlich wird von vielen westlichen Medien der Vergleich mit den Aufständen in China 1989 gezogen und auch ein Boykott der Olympischen Spiele wird wohl wieder von vielen Seiten gefordert werden. Es gibt Appelle ausländischer Staatsoberhäupter, die ein Ende der Gewalt fordern und ihre “Beunruhigung” über die Situation ausdrücken und die Zusicherung von Demonstrationsfreiheit in Tibet fordern.
Die Situation hat sich allerdings seit 1989 verändert. Es ist zwar immer noch das gleich Regime, allerdings hat die wirtschaftliche Bedeutung Chinas und die Abhängigkeit vieler Länder von Importen aus China stark zugenommen. Es wird also kaum zu nennenswerten Protesten ausländischer Staatsoberhäupter oder gar einer Verurteilung Chinas im Weltsicherheitsrat (China ist dort Vetomacht) kommen.
Berichterstattung innerhalb Chinas
In China selbst werden die Berichte über die Unruhen derzeit von der Propagandaoffensive anlässlich der Sitzung des Nationalen Volkskongresses verdrängt. Gerade erst wurde Hu Jintao erneut mit fast 100%iger Mehrheit zum Staatspräsidenten gewählt.
Wenn überhaupt berichtet wird werden die Aufständischen als Chaoten und Mitglieder eine Bande von Anhängern des Dalai Lama bezeichnet.
Innerhalb Chinas verfügt die Regierung über ein fast absolutes Informationsmonopol. Die Kommentare ausländischer Medien, die Regierung könne ihre Darstellung der Aufständischen als Chaoten angesichts der Ausbreitung der Gewalt nicht länger aufrechterhalten sind dementsprechend naiv.
Gezeigt werden im staatlichen Fernsehen Bilder von angeblichen Randalierern die die Geschäfte von zugewanderten Chinesen zerstören. Die Toten werden als unschuldige Zivilisten bezeichnet, die Polizei hätte nur die Anweisung mit Tränengas gegen die Demonstranten vorzugehen. Damit wird geschickt gegen die Proteste Stimmung gemacht. Die Schuld wird dem Dalai Lama gegeben, der angeblich für die Ausschreitungen verantwortlich sein soll.
Standpunkt des Dalai Lama
Der Dalai Lama weist diese Anschuldigungen zurück. Die Proteste seien spontan entstanden. Er distanziert sich von der Gewalt und ruft beide Seiten zu Gewaltlosigkeit auf.
Seine Tibetpolitik ist unter Exiltibetern nicht unumstritten. Er fordert keine Unabhängigkeit Tibets von China sondern lediglich mehr Selbstbestimmung. Er schlägt vor, dass Tibet mehr Autonomie zugesichert wird. Falls dem Dalai Lama zudem die Rückkehr nach Tibet gestattet wird würde die Exilregierung den Anspruch auf politische Selbständigkeit aufgeben. Sein Kurs gegenüber China wird von vielen Exiltibetern als zu moderat angesehen.
Standpunkt der Bundesregierung
Der Standpunkt der Bundesregierung ist in der Tibetfrage klar. Man unterstützt zwar mehr Autonomie in religiösen und kulturellen Fragen, ist jedoch gegen sämtliche separatistischen Bestrebungen der Tibeter.
Es wird keine Stellung bezogen sondern allgemein Gewalt von beiden Seiten als ungeeignetes Mittel angesehen, Probleme zu lösen.
Standpunkt des IOC
Das IOC schweigt und freut sich auf ein tolles Olympia. Die Olympischen Spiele sind ein Sportereignis und haben mit Politik nichts zu tun.
Konsequenzen der Proteste
Die Proteste werden wohl zwangsläufig so ablaufen wie es zu erwarten ist, wenn eine bewaffnete Staatsmacht gegen schlecht bewaffnete Demonstranten vorgeht. Mit Rücksicht auf halbherzige ausländische Proteste können die Tibeter nicht rechnen.
Auch die nahen Olympischen Spiele werden kein Hinderungsgrund für die chinesische Regierung sein, die Aufstände niederzuschlagen.
Die Olympischen Spiele werden normal ablaufen, die andauernden Menschenrechtsverletzungen werden in den ausländischen Medien wohl nur eine Randnotiz sein – in chinesischen Medien werden die Spiele als großartiges Event gefeiert und die westlichen Staatsoberhäupter gezeigt werden, die Schlange stehen um den Organisatoren in Peking zu den “großartigsten Spiele aller Zeiten” zu gratulieren.
Falls die Gewalt schnell abflaut und die Proteste nicht mit der gleichen Brutalität wie 1989 niedergeschlagen werden, werden sie wohl schnell wieder aus der Weltöffentlichkeit verschwinden.